HinSchG als Lehre aus Wirecard, Cum-Ex & Co. – Teil 2

wirecard 2

Die Hinweisgeberschutzrichtlinie sowie zahlreiche EU-Richtlinien im Bereich der Finanzaufsicht wurden als Konsequenz diverser Finanzskandale auf den Weg gebracht. Denn hätte es bereits zum Zeitpunkt dieser Skandale das heutige Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) gegeben, hätte womöglich die Chance bestanden, die daraus folgenden Reputationsschäden der betroffenen Unternehmen, volkswirtschaftlichen Großschäden und den fehlenden Rechtsschutz für Hinweisgeber, wenn nicht zu verhindern, zumindest zu verringern. Lesen Sie auch unseren Blog-Beitrag zum Ablauf des Wirecard-Skandals.

Der Wirecard-Skandal und das heutige HinSchG


Sicher ist es nicht, aber zumindest möglich. Was meinen wir? Wir meinen den Umgang mit der Meldung des Hinweisgebers Pav Gill. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Verfahren vom Eingang der Meldung bis zur Einleitung von Folgemaßnahmen vor dem Hintergrund des heutigen HinSchG anders verlaufen wäre. Wir zeigen Ihnen nachfolgend, wie das Verfahren um die Meldung des Hinweisgebers vor dem Hintergrund des HinSchG unter Nutzung eines IT-gestützten Meldekanals abgelaufen sein könnte.

Meldung des Verdachts


Wir nehmen an, Wirecard hätte sich bei Einrichtung einer internen Meldestelle für einen IT-gestützten Meldekanal entschieden. In einem solchen Fall hätte der Hinweisgeber Pav Gill am besten von seinem Laptop oder PC zuhause, außerhalb des Netzwerks von Wirecard, online im von Wirecard genutzten IT-gestützten Meldekanal eine Meldung zu seinem Verdacht abgeben können.

Hierzu hätte er in einem frei von ihm zu schreibenden Text seine Beobachtungen, Schlussfolgerungen anhand der ihm vorliegenden Unterlagen zusammenfassen sowie ggf. die wesentlichen Personen nennen können. Da ihm auch die entsprechenden Unterlagen vorlagen, um seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen zu untermauern, hätte er diese bei Abgabe der Meldung als Anhang in einer oder mehreren Dateien beifügen können. Mit den beigefügten Unterlagen hätte der Hinweisgeber Pav Gill der internen Meldestelle für ihre Untersuchungen bereits relevantes Beweismaterial zur Verfügung gestellt und die Untersuchungen womöglich beschleunigen können.

Als bei Wirecard Beschäftigter wäre Pav Gill auch vom persönlichen Anwendungsbereich des HinSchG umfasst gewesen.

Eingangsbestätigung nach 7 Tagen


Spätestens 7 Tage nach Eingang seiner Meldung bei der internen Meldestelle hätte diese dem Hinweisgeber Pav Gill eine Eingangsbestätigung über den IT-gestützten Meldekanal geschickt, sofern Pav Gill die Meldung nicht anonym abgegeben hätte. Bei ausgewählten Anbietern von IT-gestützten Meldekanälen wäre dies selbst im Falle einer anonymen Meldung möglich gewesen.

Zuständigkeitsprüfung


Die Meldung des Hinweisgebers Pav Gill wäre auch in den Zuständigkeitsbereich der internen Meldestelle gefallen, denn der Gegenstand der gemeldeten Verstöße stellt sowohl einen Verstoßgegen EU-Recht als auch gegen nationale strafbewehrte wie bußgeldbewehrte Vorschriften dar. Denn Gegenstand der Meldung war u.a. der Verdacht der Geldwäsche und der Bilanzmanipulation.

Stichhaltigkeitsprüfung


Aufgrund der umfangreichen Unterlagen, die Pav Gill vorlagen und die er seiner Meldung beigefügt hätte, wäre die Stichhaltigkeit seiner Beobachtungen und Schlussfolgerungen womöglich relativ schnell von der internen Meldestelle bestätigt worden.

Rückmeldung bzw. Rückfragen


Pav Gill hätte seinen Zugangs beim IT-gestützten Meldekanal in regelmäßigen Abständen auf den Eingang von Rückmeldungen oder Rückfragen, die für die Aufklärung des Falles wichtig sind, kontrollieren können und etwaige Rückfragen beantworten können.

Nach 3 Monaten bzw. spätestens 3 Monaten und 7 Tagen nach Eingang der Meldung hätte Pav Gill eine Rückmeldung der internen Meldestelle über den IT-gestützten Meldekanal erhalten müssen.

Folgemaßnahmen


Mit der Rückmeldung hätte die interne Meldestelle Pav Gill über die ergriffenen bzw. geplanten Folgemaßnahmen und die Gründe für diese informiert. Das heißt z.B. über die internen Untersuchungen bei Wirecard und u.a. die Abgabe des Sachverhalts an die Staatsanwaltschaft als zuständige Behörde für die Aufklärung von Straftaten. Aufgrund der eingeleiteten behördlichen Untersuchungen, insbesondere gegen die Führungsriege von Wirecard, wäre wohl auch der Rücktritt des Vorstands und ggf. des Aufsichtsrats zu erwarten gewesen. Daneben wären ggf. auch Schadensersatzklagen von Wirecard gegen die beteiligten Mitglieder der Führungsriege einzuleiten gewesen.

Der Gang an die Öffentlichkeit?


Neben der Abgabe einer Meldung bei einer internen Meldestelle im Unternehmen steht hinweisgebenden Personen auch die Abgabe einer Meldung bei einer externen Stelle, d.h. bei den zuständigen Behörden, offen. Sowohl bei einer Meldung an eine interne als auch bei einer Meldung an eine externe Meldestelle ist die hinweisgebende Person durch das HinSchG geschützt.

Nicht geschützt ist eine hinweisgebende Person jedoch, wenn sie ihre Meldung direkt an die Öffentlichkeit bringt, d.h. mit Journalisten spricht, den Sachverhalt auf Social Media teilt o.ä. In einem solchen Fall könnte das Unternehmen zulässigerweise Repressalien wie Kündigung oder Nicht-Beförderung gegen die hinweisgebende Person ergreifen.

 

Erfolglose Meldung bei externer Meldestelle ermöglicht geschützten Weg an die Öffentlichkeit


Der Schritt, mit dem Sachverhalt an die Öffentlichkeit zu gehen (sogenannte Offenlegung), ist grundsätzlich nur vom HinSchG geschützt, wenn die vorherige Meldung bei einer externen Meldestelle erfolglos geblieben ist oder z.B. Gefahr im Verzug besteht.

Nach seiner Kündigung wandte sich der Hinweisgeber Pav Gill an einen Journalisten der Financial Times und übermittelte ihm seine Beobachtungen sowie die Unterlagen über die Verstöße durch Wirecard.

 

Geschützter Gang an die Öffentlichkeit bei Gefahr im Verzug


Doch wäre Pav Gill durch den Gang an die Öffentlichkeit durch das HinSchG geschützt gewesen? Zum Zeitpunkt des Skandals gab es noch keine externe Meldestelle, sodass Pav Gill sich an diese auch nicht hätte wenden können. Pav Gill wandte sich lediglich an Personen bei Wirecard selbst. Eine vorherige erfolglose interne Meldung reicht bei einem Gang an die Öffentlichkeit jedoch nicht aus.

Der Hinweisgeber Pav Gill wäre bei seinem Gang an die Öffentlichkeit eventuell geschützt gewesen, weil aufgrund des Sachverhalts Gefahr im Verzug bestand. Gefahr im Verzug besteht, wenn die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass der Verstoß eine unmittelbare Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellt. Gefahr im Verzug hätte Pav Gill somit wohl anhand der hohen Summen von rund EUR 1,9 Milliarden, die in der Bilanz von Wirecard fehlten, begründen können.

 

Repressalien gegen den Hinweisgeber Pav Gill


Vor dem Hintergrund des HinSchG hätte der Hinweisgeber nicht zur Kündigung gedrängt werden dürfen bzw. vor die Wahl einer Eigenkündigung mit guten Referenzen oder einer Kündigung von Wirecard gestellt werden dürfen. Hätte sich Wirecard trotz des HinSchG gleich verhalten, hätte bereits die Androhung von Repressalien einen bußgeldbewehrten Verbotstatbestand erfüllt. Damit hätte sich Wirecard gemäß §§ 36, 37 des HinSchG zum einen schadensersatzpflichtig gemacht und zum anderen ordnungswidrig gehandelt und wäre gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 des HinSchG mit einem Bußgeld von bis zu EUR 100.000 zu sanktionieren gewesen.

 

Hätte das HinSchG den Wirecard-Skandal verhindert?


Aufgrund der im HinSchG geregelten bußgeldbewehrten wie schadensersatzpflichtigen Sanktionen zu Lasten der durch das HinSchG Verpflichteten werden Verpflichtete wohl nicht geneigt sein, die Regelungen des HinSchG zu ignorieren oder bewusst gegen diese zu verstoßen. Denn die wesentlichen Regelungen bzw. Verpflichtungen des HinSchG sind bußgeldbewehrt, u.a. die Nicht-Einrichtung einer internen Meldestelle, die Behinderung der Abgabe von Meldungen, die Behinderung des Betriebs einer internen Meldestelle sowie das Ergreifen von Repressalien gegen die hinweisgebende Person oder sonstige nach dem HinSchG zu schützende Personen.

Dennoch ist der Erfolg des HinSchG nicht vorhersehbar und wird sich wohl erst mit der Zeit feststellen bzw. messen lassen.

Weitere Beiträge zum Hinweisgeberschutzgesetz finden Sie in unserem Blog.

 

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