Im Interview: Markus Weber, Koordinator für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz der LIST AG (Bielefeld)
Die LIST-Gruppe mit insgesamt 15 operativen Gesellschaften an zehn Standorten entwickelt, plant, steuert, revitalisiert, finanziert und baut deutschlandweit Gewerbeimmobilien. Sie gehört zu den TOP Arbeitgebern und beschäftigt derzeit rund 600 Mitarbeiter. Die Betriebsleistung liegt bei 600 Millionen Euro. Die Unternehmensgruppe selbst ist so um das Produkt Immobilie organisiert, dass möglichst viele Stufen der Wertschöpfungskette abgedeckt werden können.
Lassen Sie uns einen Blick auf Ihre Firmenkultur legen –was zeichnet diese aus?
Flache Hierarchien, Teamgeist, Arbeiten auf Augenhöhe sind genauso zentrale Aspekte wie Verlässlichkeit und viele Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Auch eine Duz-Kultur vom Vorstand bis zum Sachbearbeiter ist bei uns Standard. Daraus resultieren ein fairer Umgang und eine offene Unternehmenskultur. Wenn wir artikulieren „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“ dann meinen wir das genau so! Die Menschen in unseren Betrieben haben viele Freiheiten und arbeiten eigenverantwortlich. Wir bieten nicht einfach nur Jobs!
Das klingt, als ob ein offenes und ehrliches Miteinander bei Ihnen tatsächlich schon lange gelebt wird…
Genau das. Wir haben alle unsere Ecken und Kanten, bringen trotzdem Eigensinn und Teamgeist zusammen. Dabei verfolgen wir ein gemeinsames Ziel, nämlich Gutes für unsere Kunden und für uns zu schaffen. Und wenn es mal Diskussionsbedarf gibt: unsere Türen stehen immer offen – vom Sekretariat bis zum Vorstand.
Also gelebte Open-Door-Policy – das bedeutet, Sie praktizieren den praxistauglichen Umgang mit Hinweisen längst?
Whistleblowing ist für uns nichts Neues, das fand bisher in den Büros der Personalleitung statt. Wenn jemand kommt und signalisiert, dass es ein Problem gibt, dass wir da oder dort etwas tun müssen, dann nehmen wir das ernst und widmen uns dem Thema ganz konkret.
Das passt zu den interessanten Listen, die man online einsehen kann: Do’s & Dont’s. Dort geht es beispielsweise darum, sich Vertrauen zu schenken – anstatt misstrauisch zu sein, mündliche Zusagen einzuhalten – anstatt sich an das Gesagte nicht mehr erinnern zu wollen und beim Mindset um halbvolle statt halbleere Gläser…
Genau das sind wichtiger Elemente und betreffen den Arbeitsalltag genau wie die Führung. Das leben wir fachlich und auch zwischenmenschlich. Offene Kritik gehört bei uns zum Tagesgeschäft – und es ist Teil eines modernen Unternehmens. Man kann ja viel erzählen – doch es muss in der Realität dann auch passieren. Insofern sind offene Gespräche bei uns ein sehr zentraler Dreh- und Angelpunkt.
Verstehen erfordert gelungene Kommunikation – und in einem so großen Unternehmen sollen, wollen und müssen sich die Menschen ja verstehen. Es geht also um Klartext?
Absolut! Klartext hat wohl auch etwas mit unserem Hauptstandort im Norden zu tun. Die Menschen dort sind stellenweise direkter als andernorts, daran muss man sich auch erst einmal gewöhnen, es ist eine Mentalitätsfrage. Eine derart offene Kultur verändert auch die sonst üblichen Gepflogenheiten und sie bringt auch eine gewisse Verantwortung mit sich. Für manchen ist das ein echter Switch von der traditionellen Unternehmensführung hin zu Klartext. Damit das gelingt, braucht es respektvolle Sprache, aufmerksames Zuhören, gut begründete Kritik.
Wie tickt LIST? Ich habe gelesen, dass Ideenreichtum, Neugier, Inspiration Mut und Aufgeschlossenheit dazu gehören. Das Unternehmen lädt dazu ein, Neues auszutesten und mit Gewohnheiten zu brechen. Sind das die Erfolgsfaktoren, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten?
Wenn man in die Geschichte der LIST-Gruppe schaut, hatten wir im Jahr 2010 noch 35 Mitarbeiter, heute sind es über 600. Wir müssen also wohl was richtig machen. Seit zehn Jahren reden alle vom Fachkräftemangel – unsere Firmengruppe wächst immer dann, wenn wir die richtige Person treffen oder die richtige Person uns findet. Unsere Mitarbeiter sind begeistert von dem, was wir tagtäglich tun und können andere mitreißen. Wir sind offen für andere Denkweisen und erkennen Gemeinsamkeiten an. Wir schätzen, was jede gute Zusammenarbeit mitbringt: neue Perspektiven. Das ist unsere Wachstumsstrategie.
LIST hat den Anspruch, pragmatische Lösungen zu suchen und zu finden – sowohl am Schreibtisch als auch auf der Baustelle. Wenn da nun schon eine Unternehmenskultur existiert, die auf Vertrauen, Individualität und Kooperation beruht, was braucht es dann noch eine EU-Richtlinie wie die zum Hinweisgeberschutz?
Ich bin nun seit fünf Jahren bei LIST und habe die Erfahrung gemacht, dass beispielsweise der Umgang mit Prozessen sehr offen gehandhabt wird. Die Menschen sprechen Dinge unmittelbar an, bekommen direktes Feedback, haben Ideen, etwas weiterzuentwickeln oder auch greifbare Anregungen, wie wir Dinge unkomplizierter machen können. In vielen Bereichen folgen wir den Mitarbeitern und ihren Hinweisen. Und geben andererseits den Kunden und Partnern passende Hilfestellung und Unterstützung, wenn einem etwas zu viel ist oder sich jemand nicht auskennt. Die neue EU-Richtlinie bedeutet, dass wir das, was wir ohnehin schon tun, mit System fortsetzen werden. Ich bin gespannt, welche neuen Erkenntnisse das bringt und denke, es ergeben sich weitere Chancen daraus.
Auch und erst recht im Bereich Compliance?
Wir haben ein großes Interesse daran, die Interessen der Belegschaft zu schützen. In meinem Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz kommt das beispielsweise gerade dort zum Tragen, wo wir mit Menschen aus dem europäischen Ausland arbeiten. Aspekte wie Mindestlohn oder illegale Beschäftigung reichen wir auch an unsere Partner weiter – und schauen, wie das umgesetzt wird und wie wir dabei unterstützen können. Doch bei Compliance geht es nicht ausschließlich um die Regeltreue von Unternehmen, also die Einhaltung von Gesetzen, Bestimmungen und Richtlinien. Es geht auch um ethisches Verhalten.
Compliance und somit auch der Schutz der Whistleblower sind also wichtige Bausteine in der ethischen Unternehmensführung?
Whistleblowing ist als Compliance-Thema in unserer Gesellschaft erst jetzt so richtig aufgepoppt. Im Baugewerbe haben wir lange schon damit zu tun, zum Beispiel sind ein Nachhaltigkeitsreport und damit zusammenhängende Risikoanalysen nichts Neues. Ich erinnere mich beispielsweise an die 1996 eingeführte Gefährdungsbeurteilung. Also jetzt bereits seit 27 Jahren müssen sich Arbeitgeber darüber Gedanken machen, wo etwas passieren könnte, dass ein Mitarbeiter an der Baustelle abstürzt, welche Maßnahmen es präventiv zu ergreifen gilt. Ob Kundenfokus, Personalführung oder auch Personalverantwortung: Viele Bereiche betreffen Compliance, der passende Verhaltenskodex beschäftigt uns daher durchaus schon länger.
Und nun geht es darum, den Hinweisgeberschutz ganzheitlich zu denken?
Gerade weil wir auch für internationale Kunden arbeiten, schauen wir bei Bereichen wie Arbeitssicherheit, Bestechung, Ausbeutung immer sehr genau hin und fragen, ob wir korrekt handeln oder was zu tun ist, um Risiken vorzubeugen. Und es geht um die Einstellung zu Rechtsnormen und das eigene Verhalten. Viele weisen beim Thema Compliance lediglich auf die Rechtstreue hin, doch in Bezug auf Arbeitssicherheit ist es eine Frage von Verhalten – Stichwort Behavior Based Safety. Wir können Menschen nicht mit Schildern abhalten, Dummheiten zu begehen. Aber wir können sie überzeugen, es braucht also Verhaltens- und dabei auch Fehlerkultur. Fehler zugeben können, aus Fehlern lernen – das ist bei uns der Inbegriff von Compliance-konformem Handeln.
Wie sieht es mit den Zielen Risikominimierung, Effizienzsteigerung und Effektivitätssteigerung aus?
Wirtschaftlichkeit ist immer ein Fokus – beispielsweise erreichen wir das durch einen geringeren Krankenstand. Doch worum geht es eigentlich? Wir kümmern uns um die Menschen! Wir sind an den Menschen interessiert! Unser Verhalten ist geprägt von Fairness und Konsistenz. Daher wollen wir wissen, was passiert – anstatt nur in der eigenen Blase zu bleiben. Wer wirklich verstehen will, muss über den Tellerrand hinausblicken. Halbwissen reicht nie, um etwas zu verbessern.
Dann ist der neue Meldekanal eine gute Möglichkeit, um doch noch das eine oder andere zu erfahren?
Durch das Hinweisgebersystem können Mitarbeiter auf Missstände aufmerksam machen, das ist eine zentrale Säule und Bestandteil professioneller Compliance. Indem die Aufmerksamkeit auf Fehlverhalten intern gelenkt und dieses gelöst wird, können wir das Unternehmen vor Schäden wie Strafverfahren, Strafzahlungen oder Rufschäden schützen. Ein großer Mehrwert eines Hinweisgebersystems bezieht sich auf die Werte, es fördert eine offene Unternehmenskultur. Jedes Unternehmen hat so die Chance, für mehr Transparenz und Vertrauen zu sorgen. Wenn interne Missstände nicht unter den Teppich gekehrt, sondern proaktiv angegangen werden, unterstützt das eine integre Unternehmenskultur.
Ihr Motto lautet „Bessere Immobilien. Nachhaltig. Digital. Intelligent.“ Haben Sie auch nach einem Meldesystem gesucht, das genau diesen Prinzipien folgt?
Ich möchte fast behaupten, dass wir kein Hinweisgebersystem benötigen, weil wir das in unserem Alltag schon leben. Trotzdem haben wir uns frühzeitig um einen Meldekanal gekümmert – völlig unabhängig vom Gesetz. Wir wollen dem Phänomen entgegenwirken, dass so etwas als Denunziantentum wahrgenommen werden könnte. Manche Unternehmen befürchten, es kämen Fake-Meldungen rein. Uns ist wichtig, dass die Menschen ihre Beschwerden loswerden können, ob persönlich oder jetzt auch digital. Die Meldungen haben für uns als Unternehmen immer einen Wert, sei es als Erkenntnisgewinn oder um das Risiko von Frust und Flurfunk zu senken. Auch wenn es Aufwand und Arbeit kostet: Wir wollen mit Meldungen umgehen, erst recht wenn sie auf falschen Annahmen oder fehlenden Informationen beruhen – dann können wir aktiv werden.
Wie sind Sie bei whistle.law gelandet?
Briefkasten, Emailadresse oder Telefonhotline schlossen wir aus, das ist nicht praktikabel. Wir haben verschiedene Anbieter digitaler Lösungen recherchiert und verglichen. Uns war wichtig, dass Meldung erst einmal bei uns landen und wir uns kümmern können. Der interne Meldekanal ist wichtig, damit die Mitarbeiter zuerst bei uns ihr Herz ausschütten. Gleichzeitig sollte die Plattform extern liegen und anonym sein, das gibt den Menschen auch Sicherheit. Wir haben Angebote eingeholt und Möglichkeiten verglichen – was passt für uns.
Auf der Suche nach dem perfekten, maßgeschneiderten Meldesystem passt also whistle.law – warum genau?
An und für sich sind die Plattformen sehr ähnlich, doch es gibt Unterschiede beim Preis und in der Vorgehensweise. Manche bieten einen Ombudsmann zwingend an oder erheben eine Fallpauschale. Wir aber wollen flexibel das dann zuschalten, wenn wir es brauchen. Bei whistle.law haben uns die kompetenten Ansprechpartner gefallen, da geht es nicht um Marketing und Vertrieb, stattdessen haben wir deutlich gemerkt, dass die Ahnung haben, wovon sie sprechen. Und ob man sich für eine langfristige Geschäftsbeziehung entscheidet, hat auch etwas mit Empathie zu tun. Für uns passt das System auch insofern, dass wir das Reporting im Rahmen des Lieferkettengesetzes noch ergänzen können – so haben wir ein rundes Gesamtpaket.
Wie werden Sie mit eingehenden Hinweisen umgehen?
Das Thema ist bei uns sehr hoch angesiedelt, Hinweise werden dem Vorstand kommuniziert. Direkter Ansprechpartner ist mit Sebastian Wirbals unser Personalchef, so wie im Prinzip bisher auch. Man kann ihn persönlich ansprechen oder jetzt auch digital und anonym. Grundsätzlich ist das Hinweisgebersystem ein weiterer Kommunikationskanal. Meiner Einschätzung nach wird er gar nicht nötig sein – doch ich lasse mich auch überraschen. Wenn irgendwo etwas schiefläuft und uns gemeldet wird, kann man sich auch anonym austauschen, nachfragen, Dinge klären und bereinigen – und es ist ein großer Wissensvorsprung, um reagieren zu können. Eine produktive Unternehmenskultur ist für uns das Wichtigste. Die Menschen sollen wissen: mit denen bei LIST kann man reden. Und dass wir null Toleranz leben bei Dingen, die falsch laufen.
Informationen zum Unternehmen
Von der ersten Idee über die technische Planung und die reibungslose Realisierung bis zur schlüsselfertigen Übergabe an die zum Teil selbst akquirierten Mieter: Die LIST-Gruppe übernimmt sämtliche Aufgaben, die im Lebenszyklus einer Immobilie anfallen. Ob Entwicklung oder Integrale Planung, ob Service Development oder Engineering, ob schlüsselfertiges Bauen oder nachhaltige Immobilienkonzepte: Wenn es um Gewerbeimmobilien, Handelsimmobilien und Quartiere geht, hat sich LIST mit seinen Experten an verschiedenen Standorten in Deutschland etabliert.
Gegründet 1901 ist das Unternehmen noch immer inhabergeführt. Zwischenzeitlich wurden mehr als 3000 Projekte realisiert. Immobilien werden für die unterschiedlichsten Nutzungskonzepte entwickeln, Architektur- und Ingenieurslösungen mit digitalen BIM-Methoden geliefert. LIST arbeiten als Generalübernehmer bundesweit für B2B-Kunden und ist Spezialist für das Bauen in Bestandsgebäuden. Aspekte der Nachhaltigkeit, Gebäuderessourcen und Klimarisikoanalysen nehmen dabei zunehmend einen höheren Stellenwert ein.
Die LIST AG führt die Unternehmensgruppe wirtschaftlich, strategisch und auch kulturell. Sie versteht sich als Taktgeber und Wegweiser. Für die Gesellschaften der LIST-Gruppe übernimmt die LIST AG zentrale Aufgaben zur Unternehmensentwicklung, im Bereich Finanzen/Controlling, im Personalwesen und in der Organisation, im Marketing sowie in der IT. Sie gibt den operativen Gesellschaften damit die Möglichkeit, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.