Welche Konsequenzen hat die nicht rechtzeitige Verabschiedung des Hinweisgeberschutzgesetzes?

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Die EU hat bereits zum 23. Oktober 2019 die Hinweisgeberschutzrichtlinie (RL (EU) 2019/1937) zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, verabschiedet. Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzen. Deutschland hat diese Frist versäumt.

UPDATE: Der Bundestag hat am 16. Dezember 2022 nun endlich das lang ersehnte Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) beschlossen. Das HinSchG wird drei Monate nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten. Aufgrund der noch ausstehenden Zustimmung durch den Bundesrat wird ein Inkrafttreten ab Mai 2023 erwartet.

Konsequenzen der nicht rechtzeitigen Umsetzung


Doch welche Konsequenzen hat die nicht rechtzeitige Umsetzung der Hinweisgeberschutzrichtlinie für die Anwendung des nationalen Rechts? In unseren Blog-Beiträgen Teil 1 und Teil 2 beschäftigen wir uns bereits mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Hinweisgeberschutzrichtlinie und insbesondere die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen womöglich bereits unmittelbare Wirkung für den öffentlichen Sektor entfaltet.

Was aufgrund der nicht rechtzeitigen Umsetzung der Hinweisgeberschutzrichtlinie in nationales Recht insbesondere Arbeitgeber und Gerichte zu beachten haben, finden Sie im vorliegenden Beitrag.

Richtlinienkonforme Auslegung unabhängig der unmittelbaren Wirkung


Auch wenn die Hinweisgeberschutzrichtlinie im Einzelfall keine unmittelbare Wirkung entfaltet oder eine unmittelbare Wirkung – entgegen unserer Ansicht – generell verneint wird, kann sie nichtsdestotrotz (mittelbare) Wirkung entfalten. Denn deutsche Gerichte sind verpflichtet, Sachverhalte zwischen zwei Privaten, der in den Anwendungsbereich der Hinweisgeberschutzrichtlinie fällt, nach Ablauf der Umsetzungsfrist, d.h. seit dem 18. Dezember 2021, richtlinienkonform auszulegen.

Unionsrechtliches Gebot richtlinienkonformer Auslegung


Denn nationale Gerichte haben EU-Richtlinienbestimmungen, die nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wurden, bei ihren Entscheidungen zu beachten. Dies gilt auch dann, wenn die in Rede stehenden EU-Richtlinienbestimmungen keine individuellen Rechte begründen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil vom 05.10.2004, Rs.: C-397/01, C-398/01, C-399/01 u.a.) ist das unionsrechtliche Gebot richtlinienkonformer Auslegung unter Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden im Zweifel so durchzuführen, dass die Auslegung des nationalen Rechts zu einem Ergebnis kommt, dass im Einklang mit den Festlegungen der EU-Richtlinie und damit zur vollen Wirksamkeit des Unionsrechts führt. Dieser Grundsatz beschränkt sich dabei nicht nur auf das nationale Recht, welches zur Umsetzung der EU-Richtlinie vom nationalen Gesetzgeber erlassen wurde, sondern fordert, dass das nationale Gericht das gesamte nationale Recht bei seiner Entscheidung richtlinienkonform auslegt. Die Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts ist erforderlich, um nicht zu einem der EU-Richtlinie widersprechenden Ergebnis zu kommen.

Vorabentscheidungsverfahren in Zweifelsfällen


In Zweifelsfällen hinsichtlich der Auslegung oder Anwendung der EU-Richtlinienbestimmungen können nationale Gerichte auch ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV anstrengen.

Auswirkungen der richtlinienkonformen Auslegung für Arbeitgeber


Doch was bedeutet dies für das Arbeitsrecht? Die richtlinienkonforme Auslegung kann im Arbeitsrecht insbesondere bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, u.a. in arbeitsrechtlichen Generalklauseln, eine Rolle spielen und die Hinweisgeber durch die richtlinienkonforme Auslegung ggf. mittelbar vor Repressalien schützen. In Betracht kommt dies z. B. beim Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) oder der Verpflichtung zur Rücksichtnahme im Arbeitsverhältnis (§ 241 Abs. 2 BGB). Dasselbe könnte für die in der Hinweisgeberschutzrichtlinie angelegte Beweislastumkehr gelten. Nach der dort angelegten Beweislastumkehr wird vermutet, dass eine berufliche oder persönliche Benachteiligung im Arbeitsverhältnis infolge der Meldung eines Verstoßes durch den Arbeitnehmer getroffen wurde und deshalb im Lichte der Hinweisgeberschutzrichtlinie unzulässig ist. Bereits das LAG Nürnberg thematisierte in seiner rechtskräftigen Entscheidung (vgl. Urteil vom 24.02.2021, Az.: 3 Sa 331/20) diese Beweislastumkehr, welche ab Ablauf der Umsetzungsfrist wohl im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung auch anzuwenden wäre.

Wesentliche Wertungskorrekturen im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung möglich


Dies kann zu ggf. wesentlichen Wertungskorrekturen im Vergleich zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Behandlung von Hinweisgebern führen. Denn nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist vor einer Meldung die interne Klärung abzuwarten. Wartet ein Arbeitnehmer eine solche interne Klärung nicht ab, ist er vor Repressalien grundsätzlich nicht geschützt. Die Hinweisgeberschutzrichtlinie macht eine Meldung und den Schutz vor Repressalien gerade nicht von einer solchen vorherigen internen Klärung abhängig. Auch die Anwendung der Beweislastumkehr könnte in Gerichtsverfahren zu vollkommen anderen Entscheidungen führen, da der Arbeitnehmer – aufgrund der bis dahin geltenden Beweislastverteilung zu seinen Lasten – oft aus Mangel an Beweisen nicht nachweisen konnte, dass die Benachteiligung infolge der Meldung erfolgte.

Empfehlung an Unternehmensleitungen zur Beachtung der Vorgaben der Hinweisgeberschutzrichtlinie


Aufgrund dessen sollten Arbeitgeber daraus ggf. resultierende Prozessrisiken berücksichtigen. Generell ist Unternehmensleitungen und Arbeitgebern zu empfehlen, bei der Einrichtung und dem Betrieb interner Meldestellen insbesondere auch die Vorgaben der Hinweisgeberschutzrichtlinie und deren – durch die richtlinienkonforme Auslegung – Auswirkungen auf das gesamte nationale Recht nicht aus den Augen zu verlieren.

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