Unmittelbare Wirkung der Hinweisgeberschutzrichtlinie? Falls ja, für wen? Teil 2
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) verpflichtet – in Umsetzung der Hinweisgeberschutzrichtlinie (RL (EU) 2019/1937) – nicht nur juristische Personen des privaten Sektors, sondern auch juristische Personen des öffentlichen Sektors, interne Meldestellen für Meldungen über Verstöße einzurichten. Doch sind juristische Personen des öffentlichen Sektors nicht bereits seit dem 18. Dezember 2021 unmittelbar durch die Hinweisgeberschutzrichtlinie verpflichtet? Und falls die Hinweisgeberschutzrichtlinie unmittelbare Wirkung gegenüber dem öffentlichen Sektor entfaltet, gilt dies gleichzeitig auch für den privaten Sektor? Für mehr Details zur unmittelbaren Wirkung von EU-Richtlinien im allgemeinen lesen Sie unseren Blog-Beitrag.
Für wen entfaltet die Hinweisgeberschutzrichtlinie bereits unmittelbare Wirkung?
Nach der offenbar überwiegenden Meinung ist der öffentliche Sektor nicht erst durch das künftig in Kraft tretende HinSchG, sondern bereits seit Ablauf der Umsetzungsfrist am 17. Dezember 2021, d.h. seit dem 18. Dezember 2021, unmittelbar durch die Hinweisgeberschutzrichtlinie zur Einrichtung interner Meldestellen, welche die Anforderungen der Hinweisgeberschutzrichtlinie erfüllen, verpflichtet.
Unmittelbare Wirkung für juristische Personen des öffentlichen Sektors
Die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen dürfte mit dem in Art. 8 in Verbindung mit Art. 9 der Hinweisgeberschutzrichtlinie vorgegebenen Verfahren zur Einrichtung und Entgegennahme von Meldungen konkret und hinreichend genug bestimmt sein. Auch die den einzelnen Verpflichteten zur Wahl gestellte Ausgestaltung des Meldekanals, d.h. ob schriftlich, telefonisch oder als IT-gestützte Meldestelle, lässt die Bestimmtheit der Verpflichtung nicht entfallen, denn es handelt sich um einen reinen den Verpflichteten zugebilligten Gestaltungsspielraum. Dieser Gestaltungsspielraum lässt sowohl die Einrichtungspflicht an sich als auch das konkrete Verfahren zur Entgegennahme von Meldungen unberührt.
Die Einrichtungspflicht für den öffentlichen Sektor ist auch keine Verpflichtung von Privaten, sondern lediglich die Verpflichtung des Staates und den ihm zuzurechnenden staatlichen Stellen und Organisationen bzw. Unternehmen, für die eine unmittelbare Wirkung im Falle einer nicht, nicht rechtzeitigen oder nicht ordnungsgemäßen Umsetzung gerade nicht ausgeschlossen ist.
Unmittelbare Einrichtungspflicht erfasst auch Gemeinden und Gemeindeverbände
Diese Einrichtungspflicht erfasst auch Kommunen mit weniger (!) als 10.000 Einwohnern oder sonstige staatlichen Stellen mit weniger (!) als 50 Beschäftigten. Die für diese juristischen Personen des öffentlichen Sektors in Art. 8 Abs. 9 Unterabs. 2 der Hinweisgeberschutzrichtlinie vorgesehene Öffnungsklausel kann durch die Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen Umsetzungsgesetzen ausgenutzt werden. Zwar scheint das HinSchG als deutsches Umsetzungsgesetz von diesen Öffnungsklauseln Gebrauch machen zu wollen; da es aber bislang noch nicht in Kraft getreten ist, gilt bis zum Inkrafttreten des HinSchG die Wirkung bzw. die Pflicht der Hinweisgeberschutzrichtlinie unmittelbar ohne die möglichen Einschränkungen (vgl. EuGH, Urteil vom 01.06.1999, Rs.: C-319/97).
Keine Übergangsfrist für den öffentlichen (!) Sektor
Auch die den juristischen Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Beschäftigten gewährte Schonfrist bzw. Übergangsfrist zum 17. Dezember 2023 gemäß Art. 26 Abs. 2 der Hinweisgeberschutzrichtlinie gilt nicht für den öffentlichen Sektor.
Keine unmittelbare Wirkung für juristische Personen des privaten Sektors
Die Hinweisgeberschutzrichtlinie entfaltet jedoch keine unmittelbare Wirkung für den privaten Sektor, da Richtlinienbestimmungen von den Mitgliedstaaten nicht zu Lasten von Privaten bzw. Bürgern angewandt werden dürfen. Lesen Sie für mehr Details zur unmittelbaren Wirkung von EU-Richtlinien im allgemeinen unseren Blog-Beitrag Teil 1.
EuGH: Richtlinie entfaltet keine unmittelbare Wirkung zu Lasten von Privaten
Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil vom 05.04.1979, Rs.: C-148/78; EuGH, Urteil vom 04.12.1974, Rs.: C-41-74; EuGH, Urteil vom 10.11.1992, Rs.: C-156/91) können EU-Richtlinien – im Gegensatz zu europäischen Verordnungen – ohne ein entsprechendes nationales Umsetzungsgesetz Private nicht unmittelbar verpflichten. Die nicht, nicht rechtzeitige oder nicht ordnungsgemäße Umsetzung soll nicht zu Lasten der Privaten gehen. Anderes gilt, wenn die EU-Richtlinienbestimmung einen Anspruch eines Privaten gegen den Staat regelt. Diesen können Private gegenüber dem Staat bei nicht, nicht rechtzeitiger oder ordnungsgemäßer Umsetzung geltend machen (vertikale Direktwirkung).
Übergangsfrist für den privaten (!) Sektor bei 50 bis 249 Beschäftigten
Für juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Beschäftigten ergibt sich dies bereits aus der in Art. 26 Abs. 2 der Hinweisgeberschutzrichtlinie geregelten Schonfrist bzw. Übergangsphase zur Einrichtung interner Meldestellen, die erst zum 17. Dezember 2023 zu erfolgen hat. Diese Übergangsphase ist auch im deutschen Umsetzungsgesetz in § 42 des HinSchG enthalten.
Unmittelbare Wirkung der Regelungen für den Schutz von Hinweisgebern
Im Gegensatz zur unmittelbaren Wirkung für juristische Personen des privaten Sektors ist eine unmittelbare Wirkung der Hinweisgeberschutzrichtlinie zumindest für den öffentlichen Sektor eher zu bejahen. Das bedeutet auch, dass die Hinweisgeber, die sich an die – auch ohne nationales Umsetzungsgesetz – verpflichtend einzurichtenden internen Meldestellen der jeweiligen öffentlichen Stellen wenden, entsprechend der Hinweisgeberschutzrichtlinie geschützt sind. Hinweisgeber dürften sich deshalb wohl zumindest auf den Schutz vor Repressalien berufen können. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass EU-Richtlinien, die subjektiv-öffentliche Rechte vermitteln, im Verhältnis Bürger-Staat gerade unmittelbar anwendbar sind.
Weitere Beiträge zum Hinweisgeberschutzgesetz finden Sie in unserem Blog.
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